Verfassungsbeschwerde im Strafrecht

Auch im Strafrecht kann gegen das endgültige Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt werden. In diesem Fall prüft das Bundesverfassungsgericht (oder ggf. auch das Landesverfassungsgericht), ob die Entscheidungen der Strafgerichte die Grundrechte des Verfassungsbeschwerdeführers verletzen. Die Verfassungsbeschwerde dient aber nicht der Tatsachenaufklärung und -bewertung, es wird also bspw. nicht erneut über Schuld und Unschuld oder über das Strafmaß entschieden.

Darum ist es die Aufgabe des Rechtsanwalts, bei einer Verfassungsbeschwerde im Strafrecht genau zu prüfen, ob und welche Grundrechte verletzt wurden. Das setzt zum einen eine intensive Erfahrung im Verfassungsrecht, zum anderen aber auch eine sorgfältige Suche nach Fehlern im Urteil und im sonstigen Verfahren voraus.

In vielen Fällen kann es auch sinnvoll sein, bereits im Prozess oder jedenfalls in den Rechtsmittelinstanzen die Beratung eines spezialisierten Anwalts in Anspruch zu nehmen, um die Weichen für eine erfolgversprechende Verfassungsbeschwerde – falls diese notwendig werden sollte – zu stellen.

Wann kann die Verfassungsbeschwerde erhoben werden?

Erst nach Durchlaufen des gesamten Rechtswegs, wenn also die Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs oder des Oberlandesgerichts vorliegt.

In den seltenen Fällen, in denen es keine Revision gibt (bspw. in kleineren Jugendstrafsachen), ist die Verfassungsbeschwerde nach der letzten zur Verfügung stehenden Instanz möglich. Welche dies ist, kann Ihnen Ihr Verteidiger aus dem Strafverfahren genau sagen.

Wann kann die Verfassungsbeschwerde gegen eine Verhaftung erhoben werden?

Auch im Falle der Verhaftung und Vollstreckung von Untersuchungshaft ist eine Verfassungsbeschwerde denkbar. In diesem Falle muss zumindest Beschwerde eingelegt werden.

Sofern sich die Verfassungswidrigkeit der Haftentscheidung erst später ergibt, wird eine Haftprüfung mit anschließender Beschwerde zu erwägen sein, um auch sicher den Rechtsweg auszuschöpfen. Die genaue Reaktion kommt dann aber auf die konkrete Situation des Einzelfalls an. Die Kanzlei Abamatus wird dann mit Ihrem Strafverteidiger zusammenarbeiten, um den sichersten und schnellsten Weg für Sie zu finden.

Mein Verwandter/Freund/Bekannter/Mandant sitzt im Gefängnis. Wie können wir die Verfassungsbeschwerde einlegen?

In diesem Fall gestaltet sich natürlich manches schwerer, schon die Erlangung einer im Original unterschriebenen schriftlichen Vollmacht stellt dann gewisse Probleme dar. Aber auch das lässt sich lösen, notfalls mit einem persönlichen Besuch in der Haft.

Bei der Besorgung der Unterlagen ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Verteidiger sinnvoll und meist auch notwendig, um die erforderlichen Unterlagen zu besorgen und die weitere Strategie zu besprechen.

Welche Frist gilt für die Verfassungsbeschwerde?

Die Verfassungsbeschwerde muss innerhalb eines Monats nach Zugang der letzten Entscheidung erhoben und vollständig begründet werden.

Geht die Entscheidung sowohl dem Angeklagten als auch dem Verteidiger zu, so ist stets der frühere Zeitpunkt maßgeblich (siehe Beschluss des Bundesverfassungsgericht, Az. BvR 1543/20).

Welche Unterlagen brauchen Sie für die Verfassungsbeschwerde?

Für eine erste Prüfung benötige ich jedenfalls alle gerichtlichen Entscheidungen und die wesentlichen Schriftsätze Ihres Verteidigers, vor allem die Revisionsbegründung.

Um die Verfassungsbeschwerde dann erheben zu können, müssen alle revelanten Unterlagen an das Bundesverfassungsgericht geschickt werden. Idealerweise sind das die gesamten Verfahrensakten. Sollten diese nicht komplett vorliegen, müssen jedenfalls alle Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts, Verhandlungs- und Vernehmungsprotokolle und sämtliche weiteren Dokumente, anhand derer das Bundesverfassungsgericht die Sache prüfen kann, übersandt werden.

Worüber entscheidet das Bundesverfassungsgericht?

Das BVerfG entscheidet nur darüber, ob das Urteil Grundrechte verletzt. Es kann also nicht prüfen, wie es „wirklich“ war, ob das Gericht also die Schuldfrage richtig festgestellt hat. Auch strafrechtliche Fachfragen, wie also bspw. ein bestimmter Tatbestand auszulegen ist, werden vom Bundesverfassungsgericht nicht behandelt.

Denkbar sind aber bspw. folgende verfassungsrechtliche Fragen:

Kann das Strafmaß durch die Verfassungsbeschwerde angefochten werden?

Prinzipiell schon, da es sich dabei ja auch um eine gerichtliche Entscheidung handelt. In der Praxis ist dies aber sehr schwer, da ein Grundrechtsverstoß unmittelbar durch die Strafzumessung gerügt werden müsste.

Zwar ist jede Verhängung einer Strafe für ein Vergehen oder Verbrechen ein Grundrechtseingriff. Mit einer Gefängnisstrafe wird die Freiheit beschränkt, mit einer Geldstrafe wird in das Vermögen eingegriffen. Diese Eingriffe sind aber gesetzlich vorgesehen. Und dass es solche Strafen gibt, war bei Inkrafttreten des Grundgesetzes völlig üblich und allgemein anerkannt. Grundsätzlich sind diese strafrechtlichen Sanktionen also zweifellos zulässig.

Das wäre nur anders, wenn das Gericht bspw. in verfassungswidriger Weise eine völlig unverhältnismäßige Freiheitsstrafe wegen eines Bagatelldelikts ausurteilen würde. Ebenso könnte eine diskriminierende Strafzumessung (weil der Täter Ausländer/ein Mann/Sonderschüler ist, wird eine höhere Strafe ausgesprochen) gegen Grundrechte verstoßen. Diese Fälle sind aber die absolute Ausnahme.

Verhindert die Verfassungsbeschwerde die Vollstreckung?

Die Einlegung der Verfassungsbeschwerde kann die Vollstreckung der Strafe nicht aufschieben.
Die Einlegung der Verfassungsbeschwerde kann die Vollstreckung der Strafe nicht aufschieben.
Nein.

Das Urteil ist mit der letzten gerichtlichen Entscheidung vollstreckbar. Das Verfassungsbeschwerdeverfahren hat hierauf grundsätzlich keinen Einfluss. Darum muss eine Geldstrafe bezahlt werden, die Bewährungsauflagen müssen beachtet werden oder eine Freiheitsstrafe muss angetreten werden – eben je nach Urteil.

Denkbar ist zwar eine einstweilige Anordnung, mit der das Bundesverfassungsgericht eine vorläufige Regelung trifft. Eine solche wird aber relativ selten erlassen. Näheres kann unter Abwägung der Aussichten im Einzelfall besprochen werden.

Kann ich mit der Verfassungsbeschwerde meine Unschuld beweisen?

In aller Regel nicht. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über die Verletzung von Grundrechten, nicht über Tatsachenfragen.

Sofern aber die Grundrechtsverletzung dazu führt, dass das Urteil komplett aufgehoben wird, kann in einer erneuten Verhandlung auch Ihre Unschuld festgestellt werden.

In der Revision wurde nur die allgemeine Sachrüge erhoben. Ist eine Verfassungsbeschwerde trotzdem möglich?

Ja, aber mit Einschränkungen.

Bei der allgemeinen Sachrüge wird im Rahmen der Revision nur pauschal behauptet, dass das Urteil fehlerhaft ist. Nähere Ausführungen dazu, worin der Fehler genau liegt, sind möglich, aber nicht verpflichtend. Das Revisionsgericht muss aber trotzdem das Urteil umfänglich überprüfen und auch die Grundrechte berücksichtigen. Damit gilt der Rechtsweg als ordnungsgemäß genutzt und eine Verfassungsbeschwerde ist weiter möglich.

Allerdings können dann keine Verfahrensfehler in der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. Denn diese muss das Revisionsgericht nur prüfen, wenn sie im Rahmen der Revision ausdrücklich gerügt werden. Ist das nicht geschehen, wurde die Revision insoweit nicht genutzt und die Verfassungsbeschwerde kann nicht auf einen Verfahrensfehler gestützt werden.

Soll ich mich während des Verfassungsbeschwerdeverfahrens der Vollstreckung entziehen?

Nein, auf keinen Fall. Damit riskieren Sie unmittelbare Nachteile, die auch bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde negative Auswirkungen haben können.

Welche weiteren Möglichkeiten gibt es?

Die Möglichkeiten, gegen ein an sich rechtskräftiges Strafurteil vorzugehen, muss Ihr Verteidiger mit Ihnen besprechen.

In Frage kommen vor allem:

  • Wiederaufnahme
  • Gnadengesuch
  • Zurückstellung der Vollstreckung
  • Gewährung von Ratenzahlung (bei Geldstrafen)
Ist ein Eilantrag sinnvoll?

Das kommt darauf an.

Grundsätzlich bin ich mit Eilanträgen aber vorsichtig, da diese oftmals zum Anlass genommen werden, die Verfassungsbeschwerde insgesamt nicht zur Entscheidung anzunehmen, sodass sich der Eilantrag dann ohne weitere Prüfung erledigt.

Darum sollte man vorrangig die genannten weiteren Möglichkeiten ins Auge fassen. In manchen Fällen lässt sich so zumindest etwas Zeit gewinnen, in der die Verfassungsbeschwerde dann unter Umständen bereits positiv entschieden wird.

Wenn das alles nichts hilft, muss doch zum Eilantrag gegriffen werden. Dieser ist dann auch schnell gestellt, wir verlieren also nichts, wenn wir diesen vorerst zurückstellen.

Kommt eine Landesverfassungsbeschwerde in Betracht?

Ja, dies muss man aber je nach Bundesland genau prüfen.

Zum einen gibt es in manchen Bundesländern keine Verfassungsbeschwerde oder diese ist nicht parallel zur Bundesverfassungsbeschwerde möglich. Teilweise ist auch der Prüfungsmaßstab bei der Anwendung von Bundesrecht, wozu das Strafrecht fast immer gehört, eingeschränkt, sodass nicht alle Argumente vorgebracht werden können. Und schließlich gibt es eine gewisse Tendenz in manchen Ländern, sich in Strafprozesse nicht allzusehr verfassungsrechtlich einzumischen.

Nähere Informationen zu Landesverfassungsbeschwerden:

Ob eine Landesverfassungsbeschwerde sinnvoll ist, prüfe ich gerne für Sie. Wenn Sie parallel zur Bundesverfassungsbeschwerde eingereicht werden soll, sind die Zusatzkosten in aller Regel überschaubar, da die Argumente weitgehend übernommen werden können.

Mehr Informationen:

(Letzte Aktualisierung: 26.05.2023)

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